Mein lieber Cheveyo
Schon bevor du von mir geboren wurdest,
war dein Tod geplant.
Unter widrigsten Umständen wurdest du gezeugt,
ich selber konnte zu dem Zeitpunkt nicht begreifen,
was da mit mir passiert - ich war schwanger, zum ersten mal.
Zu dem Zeitpunkt, als ich dich geboren habe, hatte ich nicht viel Kraft, auf dich zu sehen.
Ich war kaum in der Lage, meinen eigenen Kampf zu kämpfen.
Deinen Kampf, das Licht der Welt zu erblicken, konnte ich damals noch nicht wahrnehmen.
Heute weiß ich, dass du wohl auf ganz natürlichem Wege zur Welt gekommen bist.
Der Weg war natürlich - die Umstände aber waren unvorstellbar grausam.
Damals wusste ich das nicht einzuschätzen.
Du hast bei deiner Geburt geschrieen, so wie neugeborene Babys das tun.
Ich nehme an, dass du eigentlich in einem gesunden Zustand warst und diesbezüglich ein ganz normales Leben auf dich hätte warten können.
Doch dieses ganz normale Leben gab es nicht für dich.
Ich konnte es dir nicht geben.
Ich durfte es dir nicht geben.
Ich habe versucht, für dich zu kämpfen.
Einen Moment lang für dich stark zu sein.
Dich zu retten und zu beschützen.
....
Doch ich hatte keine Kraft gegen all diejenigen,
die etwas anderes mit deinem Leben vorhatten.
Ich hatte nicht die Kraft, gegen eine ganze Gruppe ausgewachsener Menschen anzukämpfen.
Keine Kraft - nicht mal für dich.
Jeder meiner Versuche, mich aufzulehnen, wurde im Keim erstickt.
Hilflosigkeit
Machtlosigkeit
Angst und Verzweiflung
Schmerz - von der Geburt
Schmerz - dich so sehen zu müssen.
Schmerz - über dich und über mich.
Lachende und grölende Männer und Frauen um mich herum,
die mich mit Füßen getreten haben,
die mir das Leben genommen haben, ohne dass ich sterben durfte.
Die dir das Leben genommen haben, indem du sterben musstest.
Menschen können so furchtbar brutal und bestialisch sein.
Sie können sich am Leid eines anderen ergötzen,
sie erniedrigen andere, um sich selber zu erhöhen.
Sie scheuen sich nicht, einen anderen zu quälen und zu erniedrigen.
Machtbesessen
Brutal
Pervers
Verlogen
Du musstest sterben, an dir wurde eine Straftat begangen.
Kein Kavaliersdelikt, sondern Mord.
Ich stand daneben, konnte nichts tun.
Meine Kräfte reichten nicht aus,
mein Verstand war nicht in der Lage zu verstehen, was da passiert.
Ich wünschte noch heute,
ich hätte dich vor diesen Qualen und diesem Ende bewahren können.
Wenn ich mir selber schon nicht helfen konnte,
hätte ich so gerne ....
Ich hatte Schmerzen, ich hatte Angst.
Ich habe Schuldgefühle - bis heute.
Ich konnte dir nicht helfen
Ich liebe dich und habe dich immer geliebt.
Mir bleibt die Hoffnung, dass wir uns eines Tages wiedersehen.
Dass wir uns erkennen.
Du, mein Sohn,
ich deine Mama.
Dass ich dich irgendwann in meine Arme schließen kann,
und dass alle unsere Tränen vergehen, der Schmerz erlischt.
Verzeih mir, mein Sohn,
dass ich dich nicht vor dieser Gewalt vor 29 Jahren bewahren konnte.
Bitte verzeih mir,
dass ich dich nicht beschützen konnte.
Aber ich war doch erst elf Jahre alt
Deine Mama
Erstellt von Mama Heike T.