Harald und ich sind zusammen in die Grundschule gegangen. Auf dem Schulweg kam er bei uns vorbei und hat mich abgeholt, so dass wir zusammen hin und auch wieder zurückgegangen sind. Wir haben uns angefreundet und beide gespürt, dass wir uns mochten, wie das so 7-jährige eben spüren… Auf dem Rückweg von der Schule sind wir oft Händchenhaltend nach Hause gegangen, gänzlich unbedarft, und haben uns überlegt, dass wir irgendwann mal heirateten und Kinder haben wollten.
Am 12.9.1975, es war ein regnerischer Tag, war Harald nach der Schule noch bei uns. Vermutlich haben wir Hausaufgaben gemacht und gespielt. Seine Mutter kam dann vorbei und sagte, sie wolle noch einkaufen fahren und Harald mitnehmen. Meine Großmutter, bei der ich aufgewachsen bin, meinte, ach, Harald könne doch hier bei uns bleiben, sie wolle noch Pfannkuchen backen. Es wäre kein Problem. Wie auch immer hat Harald dann seinen Schulranzen genommen und ist mit seiner Mutter weggefahren. Am nächsten Morgen wartete ich darauf, dass Harald vorbeikommen würde und wir gemeinsam zurSchule gehen könnten. Es wurde 07.35 Uhr, 7.40 Uhr, Harald kam nicht. Meine Oma sagte, ich solle allein gehen, da Harald vermutlich krank sei. Also ging ich allein zur Schule. Als ich auf dem Schulhof ankam, sagte mir irgendjemand, wer weiß ich nicht mehr, ob ich schon das mit Harald gehört hätte. Ich so, ne, der ist krank. Doch Harald war nicht krank, sondern tot. Von einem LKW überfahren , als er aus dem Auto an einer Bundesstraße stieg, weil er mal pinkeln musste. Ich konnte das gar nicht begreifen, habe nur gedacht, die verarschen mich. War aber keine Verarschung. Harald war von einem auf den anderen Tag nicht mehr real da. Das blöde war, dass das „normale“ Leben weiterging und „natürlich“ auch keiner wusste, was Harald und ich –als 7jährige – füreinander empfunden haben. Das erzählte man ja nicht. Die einzige Möglichkeit war damals für mich zu verdrängen. Harald war nicht mehr real da, das Leben ging weiter, nur in meinem Herzen da blieb er immer. Für mich war sein Verlust sehr groß, vor allem, wenn man bedenkt, dass er auch bei uns hätte bleiben und Pfannkuchen essen können. Vermutlich wäre er dann nicht tot gewesen. Was das Leben uns gebracht hätte, weiß man nicht.
In all den Jahren danach ging ich regelmäßig zu seinem Grab und legte ein paar Rosen hin., mal rosa, mal rote. Immer allein und „heimlich“, ich wollte nicht, dass andere das erfuhren. Erst nach dem Tod meines Vaters 2009 schrieb mir Haralds Mutter in einem Kondolenzschreiben, dass sie die ganzen Jahre gewusst habe, dass ich immer regelmäßig zu Haralds Grab gehen würde.
Für mich ist Harald nie „ganz gestorben“, mal war er weiter weg, dann wieder nah. Vergessen habe ich ihn aber nie. Werde ich wohl auch nicht können.
Erstellt von Britta Boberg